Jeden Tag kommen Menschen zu uns, um uns hineinzunehmen in die verborgene Welt ihrer Gedanken. Dies steht im Gegensatz zu unserer Zeit, die - wie es scheint - jedes Geheimnis entschlüsselt, ans Licht zerrt, entzaubert, bis in den letzten Winkel ausleuchtet. Selbst die Liebe bleibt davon nicht verschont, glaubt man der flächendeckenden Werbung, die dank Logarithmen jedem und jeder das große Glück verheißt. Vor kurzem schickte mir ein Polizist den Text von Jakobs Kampf am Jabbok (Gen 32, 23-32), verbunden mit der Frage, was dieser "krasse Stoff" zu bedeuten habe.
Ob Engel, lichtscheuer Vampir oder Gott, sicher ist nur, dass nach diesem nächtlichen Kampf eine Verletzung bleibt, aber auch Segen und ein neuer Name. Vielleicht lässt sich die Geschichte auch metaphorisch lesen. Da kämpft jemand mit sich. Wer bin ich wirklich? Was ist mein Lebensglück? In der nächtlichen Begegnung liegt alle Aufmerksamkeit auf dem Ringen. Vielleicht, so denke ich, gehe ich manchmal zu leicht möglichen Gottesbegegnungen wie dieser von Jakob aus dem Weg, lenke meine Aufmerksamkeit auf anderes, das leichter konsumierbar ist. In der Nacht am Jabbok gibt es kein Entrinnen. Vielleicht ist das die Hoffnungsgeschichte schlechthin. Weil sie in Aussicht stellt, dass nach den nächtlichen Kämpfen, nach den Verletzungen, nach der Freiheit, die immer wieder errungen werden muss, der erbetene Segen spürbar wird. Nein, dich lasse ich nicht Gott. Deinen Segen brauche ich - erbitte ich für Euch.
Bundespolizeioberpfarrerin Cordula Machoni , AS BPOLD B